Anmerkungen zu Jakob Stainers Geburtsjahr

Dieser Artikel ist so in seiner Aussage nicht mehr gültig und befindet sich gerade in Überarbeitung.


Jakob Stainers Geburtsdatum bzw. Geburtsjahr kann nur eingegrenzt werden. Laut Senn wurden die Matriken (Kirchenbücher) in Absam, dem vermutlichen Geburtsort Stainers, erst ab 1636 regelmäßig geführt. Zuvor gab es sowohl für Taufe als auch für Verheiratungen und Todesfälle nur unregelmäßige Eintragungen.

Als mögliche Geburtsjahre steht der Zeitraum von 1617 bis 1621 in der Literatur. Hier eine kleine Untersuchung der möglichen Geburtsjahre. Vorausschicken möchte ich zur Übersicht die relevanten Verwandten Jakob Stainers, von denen Lebensdaten überliefert sind:

  • Hans Stainer, Vater Jakobs, * unbekannt, † 05.05.1652
  • Barbara Ponperger, Mutter Jakobs, 1. Ehefrau Hans Stainers, * unbekannt, † zwischen Ende 1618 und Mitte 1620
  • Martin, Bruder Jakobs aus 1. Ehe des Vaters, getauft am 25.10.1618, wahrscheinlich früh verstorben (u.U. bereits als Säugling, 1623 im Erbschaftsfall und 1653 im Abstammungsnachweis wird er jedenfalls nicht aufgeführt)
  • Paul, Halbruder Jakobs aus 2. Ehe des Vaters mit Christina Schwitzer, * 16.06.1621, † 26.10.1664
  • Magdalena, Halbschwester aus 2. Ehe des Vaters mit Christina Schwitzer, * unbekannt, † 1688; bringt am 30.10.1638 ein uneheliches Kind zur Welt, heiratet am 25.08.1641

1617 – wird unter anderem von Prof. Dr. Walter Senn als wahrscheinliches Geburtsjahr genannt.  Wie kein anderer hat sich Senn, der bedeutende und unermüdliche Musik- und Heimatforscher Tirols, mit Stainer beschäftigt. 1947 habilitierte er mit der Schrift »Jakob Stainer, der Geigenmacher zu Absam – Die Lebensgeschichte nach urkundlichen Quellen«. Zusammen mit Karl Roy, Geigenbaumeister und langjähriger Leiter der Geigenbauschule Mittenwald, hat er 1986 das Buch »Jakob Stainer – Leben und Werk des Tiroler Meisters« [Senn, Roy 1986] veröffentlicht, das nach wie vor das Standardwerk zu Stainer ist.

Senn leitet das vermutliche Geburtsjahr 1617 aus folgenden Überlegungen ab:

  • Die erste urkundliche Erwähnung von Jakob Stainer stammt vom 16.03.1623. Im Verfachbuch (Tiroler Bezeichnung für Gerichtshandelsbuch) von Thaur (dem für Absam zuständigen Gericht) ist eine kleine Erbschaft für Jakob Stainer verzeichnet. Dabei wird ausdrücklich vom »Knaben« Jakob Stainer gesprochen. Aus diesem Erbschaftsfall geht eindeutig hervor, dass Jakob Stainer Sohn der Barbara Ponberger, der ersten Frau seines Vaters Hans Stainer, ist. Aus Jakobs Erbanspruch ergibt sich, dass die Mutter zu diesem Datum bereits verstorben war.
  • Der letzte schriftliche Beleg zu Jakob Stainers Mutter, Barbara Ponberger, stammt vom 25.10.1618, dem Taufeintrag von Jakobs wohl früh verstorbenem Bruder Martin.
  • Am 16.06.1621 (gezeugt also im Oktober 1620) wurde Jakobs Halbbruder Paul geboren. Als dessen Mutter ist im Taufbuch Christina Schwitzer genannt, zweite Frau von Jakobs Vater.
  • Senn grenzt aus diesen Daten den möglichen Zeitrahmen von Barbara Ponbergers Tod zwischen 10/1618 und Mitte 1620 ein.
  • Das Geburtsdatum von Magdalena, Stainers Stiefschwester aus der zweiten Ehe ist nicht bekannt. Sollte sie vor ihrem Bruder Paul geboren worden sein, so würde Senns Einschätzung, dass Barbara Ponberger bereits Ende 1618 bis Anfang 1619 verstorben sein müsse, wohl zutreffen. Er leitet dies daraus ab, dass Magdalena am 30.10.1638 ein uneheliches Kind des Bergknappen Georg Aicher geboren hat. Wäre sie nach ihrem Bruder Paul geboren, dann wäre sie selbst mit 16 Jahren oder noch jünger Mutter geworden. Das kommt Senn sehr unwahrscheinlich vor und er datiert das Alter der jungen Mutter daher auf »eher« 18 Jahre.
    Anmerkung: Hier spielen dem akribischen Wissenschaftler Senn wohl moralische Vorstellungen einen Streich, der sich Sexualität im jugendlichen Alter nicht vorzustellen vermochte. Magdalena steht aber in Jakob Stainers Abstammungsnachweis, den er sich 1653 vom Gericht Thaur ausstellen ließ, an letzter Stelle der Kinder Hans Stainers. Dies unterstützt die Vermutung, dass Magdalena nach ihrem Bruder Paul geboren ist.

Alle Daten [Senn, Roy 1986, S. 16ff.]

1618 – wird in neuerer Zeit gelegentlich als Geburtsjahr genannt (u.a. 2013 in der deutschen Wikipedia). Grund ist wohl eine missverständliche Übernahme aus dem Artikel »Jacob Stainer – Gedanken zu einer lückenhaften Lebensgeschichte« [Hopfner 2003, S. 33]. Hopfner führt dort den Aktenbestand zum Häresieverfahren von 1668/1669 an, der Senn in diesem Umfang nicht bekannt war. Danach schreibt Stainer am 16.09.1668 in einem Entschuldigungsbrief an das Konsistorium von Brixen im Zuge des gegen ihn 1668 eingeleiteten Häresieverfahrens, dass er nun fast 50 Jahre alt sei.
Anmerkung: Hopfner schließt daraus, dass ein Geburtsjahr vor 1618 daher kaum in Frage komme. Stainer war ein gebildeter Mann, der wohl gut zu rechnen wusste. Allerdings legt sich Hopfner keineswegs auf das Jahr 1618 fest, sondern will damit lediglich 1617 ausschließen.

1619 – wird als Geburtsjahr im Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon im Artikel von Christoph Brandhuber zu Stainers Leben ohne weitere Angaben genannt. Der ausführliche Artikel kann über die Website des Stainer-Quartetts als PDF heruntergeladen werden (Link ganz unten).

1621 – wird in der älteren Literatur gerne mit dem genauen Datum 14.07.1621 geführt. U.a. kann man dieses Datum lesen in Wilhelm Joseph von Wasielewski »Die Violine und ihre Meister« [Wasielewski 1927] und Franz Farga »Geigen und Geiger« [Farga 1940]. Bei Farga sind außerdem mit Martin Stainer und Sabina Grafinger die falschen Eltern angegeben.
Anmerkung: Wohl vor langer Zeit auf Grund von unvollständiger Quellenlage und vom Hörensagen entstanden wurde dieses Datum über viele Generationen unkritisch übernommen. Senn weist darauf hin, dass sich mit Auffinden des Abstammungsnachweises von 1653 die Zuordnung der Eltern Jakob Stainers eindeutig geklärt und das Datum von 1621 damit obsolet war. Bemerkenswert ist, dass dieses Gerichtsprotokoll von 1653 bereits 1930 in »Tiroler Heimat« auf Seite 201 im Artikel von Karl Klaar »Die Eltern des Geigenmachers Jakob Stainer« abgedruckt und damit der Öffentlichkeit bekannt war, bis zu Senn aber keine Korrekturen erfolgten.

Fazit

Will man einen Kalender für mögliche Geburtsdaten aus Rückrechnungen erstellen, so muss man neben der neunmonatigen Schwangerschaft die Schonungszeit der Wöchnerin von mehreren Wochen berücksichtigen, bevor es wieder zum ehelichen Verkehr kommen sollte. Stillen war die Norm und volles Stillen wirkt im Allgemeinen zumindest während der ersten sechs Monate als Empfängnisblocker. Insofern kann nach der Geburt eine mehrmonatige Empfängnispause angenommen werden. Muss aber nicht, denn, wie man weiß, ist die Natur auch in dieser Hinsicht gelegentlich launisch.

Jakobs Halbbruder Paul wurde vermutlich im Oktober 1620 gezeugt. Der Vater Hans Stainer war also spätestens zu dieser Zeit mit Christina Schwitzer zusammen bzw. verheiratet, Jakobs Mutter, Barbara Ponberger, bereits verstorben.

Nimmt man einen frühesten Zeugungstermin von Jakob nach der Geburt seines Bruders Martin mit Dezember 1618 an, so wäre ein Geburtsdatum Jakobs von September 1619 bis Sommer 1620 möglich.

Eine schnelle Wiederverheiratung des Vaters nach dem Tod der ersten Ehefrau spricht nicht für Pietätlosigkeit. Trauerzeiten musste man sich leisten können und bei den »kleinen« Leuten schuf der Tod einer Ehefrau eine unhaltbare Situation: Der Vater musste auf den Salzberg zur Arbeit, der Kleine, der Haushalt und nicht zuletzt die Triebe wollten versorgt werden. Also wurde schnellstmöglich wieder geheiratet.

Zusammen mit dem Hinweis von Stainer auf seinen baldigen Fünfzigsten im Schreiben vom 16.09.1668 anlässlich seines Häresieprozesses kann man durchaus von einem Geburtsdatum Ende 1619 ausgehen. Mit diesem Hinweis steht und fällt aber letztlich die Indizienkette, denn sie unterstellt, dass sich Jakob Stainer im Jahr 1668 richtig an sein Geburtsjahr erinnert hat oder dieses sich ihm aus einem heute unbekannten Dokument erschloss.

Trotz allem, 1619 scheint mir derzeit von allen Möglichkeiten am plausibelsten, wenn auch nicht wirklich abgesichert. Vielleicht gibt es ja irgendwann noch einen schönen Urkundenfund, der dieses Rätsel löst. Neue Erkenntnisse zum Thema nimmt der Autor gerne entgegen!

Heinz Peller
Artikel erstellt am: 22.01.2014